“Wer sorgsam mit persönlichen Informationen umgeht, ist weniger angreifbar”
Jessica Wawrzyniak ist Medienpädagogin und hat ein Lexikon für Kinder und Jugendliche geschrieben, in dem sie nicht nur für Datenschutz sensibilisiert, sondern auch und vor allem die wichtigsten Begriffe rund um Internet & Co erklärt. Ihr Buch wird bereits ein vielen Schulen genutzt, tausende von Schülern arbeiten bereits damit. In ihrer täglichen Arbeit ist Jessica sehr nah an Kindern dran. Ich freue mich sehr, dass Sie sich für ein Gespräch Zeit genommen hat.
Jessica, Du hast #KIDS #DIGITAL #GENIAL geschrieben – das Lexikon von App bis .Zip – erzähl doch mal, wie es dazu kam:
Jessica: Ich war einige Jahre an Schulen unterwegs und habe Kinder vor allem über Cybermobbing, Sexting und den Schutz der eigenen Privatsphäre aufgeklärt. Dabei ist mir häufig aufgefallen, dass Kindern vor allem technische Begriffe nicht klar sind. Ein Beispiel: Ich habe die Schülerinnen und Schüler im Computerraum gebeten den Browser zu öffnen und sie wussten nicht, was zu tun ist. „Achso, Sie meinen wir sollen das Internet öffnen.“ Nein! Das Internet kann man nicht öffnen, es ist keine Dose. Dazu kamen noch Situationen wie „Ich hab doch nur EIN mal was blödes über Person x geschrieben. Ich verstehe gar nicht, wieso das jetzt so eine Welle macht.“ Also auch die Dynamiken des eigenen Handelns im Internet wurden oftmals unterschätzt. So kam mir die Idee, verschiedene Begriffe – technische sowie gesellschaftliche Phänomene – leicht verständlich für Kinder zu erklären. Das war der Start für mein Online-Lexikon auf www.kidsdigitalgenial.de. Ich wollte diese Inhalte aber gerne auch in Schulen bringen und da bekommt ein „einfacher Blog“ nicht so viel Aufmerksamkeit wie ein gedrucktes Buch. Nachdem ich bei einem regionalen Wettbewerb für Medienprojekte eine Anschubfinanzierung für das Buch gewonnen habe, konnte das gleichnamige Buchprojekt starten.
Ein Thema, das dir besonders am Herzen liegt, ist der Datenschutz. Warum ist es so wichtig, Kinder dafür zu sensibilisieren?
Ich arbeite für den Verein Digitalcourage e.V. in Bielefeld. Wir engagieren uns für den Schutz von Grundrechten im digitalen Zeitalter, ganz besonders in Bezug auf den Schutz von Privatsphäre und der eigenen Daten. Dabei legen wir uns auch häufiger mal mit PolitikerInnen und Großkonzernen an, um die Stellen zu korrigieren, an denen wir Richtung Überwachung oder Datenmissbrauch steuern. Ich beginne mit Prävention bei den Kleinen. Daten sind zur neuen Währung geworden und das müssen schon Kinder lernen. Man muss sich immer vor Augen halten, dass wir in unserem Wirtschaftssystem nichts geschenkt bekommen, d.h. wenn wir an Gewinnspielen teilnehmen, kostenlose Apps herunterladen oder Informationen im World Wide Web recherchieren, dann sind diese fast nie kostenlos, auch wenn „kostenlos“ draufsteht, denn wir bezahlen diese Dienstleistungen mit unseren Daten (Name, E-Mailadresse, ausgelesene Standortdaten, usw.). Die Daten von Kindern sind nicht nur besonders schützenswert, weil sie in ihrem Alter besonderen Gefahren ausgesetzt sind, sondern auch, weil ihre Daten von klein auf gesammelt und analysiert werden können. Je mehr Daten über eine Person zur Verfügung stehen, desto angreifbarer, manipulierbarer und entmündigter wird sie. Wir sind für uns selbst und für andere verantwortlich – auch im Netz. Schon früh ein Bewusstsein für private Daten zu entwickeln und verantwortungsvoll zu handeln, ist im Gegenzug ein großer Teil der „digitalen Mündigkeit“, die sich bereits im Kindesalter entwicklen soll. Wer sorgsam mit persönlichen Informationen umgeht, ist z.B. auch für Cybermobbing und ähnliche Phänomene weniger angreifbar.
„Ich hab’ doch nichts zu verbergen.“
Gab es bei deinen Recherchen im Laufe der Zeit eine Sache, die dich nachhaltig beunruhigt?
Ich habe ein paar konkrete Erfahrungen gemacht, die mich beunruhigt haben. Ein Beispiel: Einmal stellte ich in einer 6. Klasse die Aufgabe „Erklärt mir doch mal kurz, was ‘Privatsphäre’ bedeutet.“ Nur eine Schülerin traute sich, etwas dazu zu sagen und die Antwort war: „Das sind die Einstellungen, die man bei WhatsApp und Facebook machen kann.“ – Sie brachte Privatsphäre also mit den Online-Diensten in Verbindung, die die Privatsphäre besonders gefährden und das war erschreckend. Abgesehen davon, dass die Nutzung dieser Plattformen grundsätzlich bedenklich ist, finde ich beunruhigend, dass einige Kinder in diesen Einstellungen bewusst ihre Beiträge für die Öffentlichkeit zur Verfügung stellen und diese Entscheidung mit „Ich hab’ doch nichts zu verbergen.“ rechtfertigen. Denn wie viel sie tatsächlich zu verbergen haben, ist ihnen nicht bewusst. Diese Denke aus den Köpfen herauszubekommen, ist für mich in meiner Arbeit mit Abstand die schwierigste Herausforderung.
Ich plädiere für digitale Familienregeln, auch bei Kleinkindern. Damit diese auch perspektivisch ganz natürlich gegeben sind, und Kinder in Grundschule und Co schon deren “Normalität” kennen. Welche Regeln hältst du bei der Mediennutzung und Kleinkindern für wichtig?
Ich weiß, dass diese Antwort nicht gerne gehört wird, aber meiner Meinung nach gibt es kein allgemeingültiges Rezept. Dass digitale Familienregeln beschlossen werden, halte ich für eine gute Idee, doch wie diese auszusehen haben, ist sehr unterschiedlich. Jede Familie ist individuell, was Bedürfnisse und Möglichkeiten betrifft. Die häufigste Frage ist „Wie lange sollte sich mein Kind maximal mit dem Fernseher/ Smartphone/ Tablet beschäftigen“, aber es kommt viel mehr auf die Inhalte an, als auf die Dauer. Ich empfehle an der Stelle Informationen von Klicksafe.de zu beziehen. Leider sind nicht alle Tipps wirklich gut, die im Netz zu finden sind. Häufig wird Eltern geraten viel tiefer in die Privatsphäre der Kinder einzugreifen als es nötig wäre und ihre Mediennutzung auf Schritt und Tritt zu kontrollieren – das halte ich definitiv für keine gute Lösung. Eltern und Kinder sollten ein Vertrauensverhältnis aufbauen – das führt dazu, dass Eltern entspannter bleiben können und ihre Kinder eher auf sie zukommen, wenn ihnen etwas Unangenehmes im Netz widerfährt.
Das sehe ich wie du! Kontrolle ist nie gut, auch wenn Eltern in Sorge sind. Neben den Gefahren im Netz fürchten viele die “Gefahr Online-Sucht”. Sicherlich kannst du viele Eltern beruhigen, wenn es um die Entstehung von Sucht geht …
Das Wichtigste zuerst: Nur weil ein Kind oft Online Spiele spielt oder häufig in Sozialen Netzwerken unterwegs ist, kann noch längst nicht von „Sucht“ gesprochen werden. Diese Dinge machen einfach Spaß und um auf dem Schulhof mitreden zu können, muss man sich häufig an dem Geschehen im Netz beteiligen. Einige Kinder verlegen auch ihre Hobbys ins Netz und die meiste Kommunikation zwischen Kindern findet ohnehin online statt. Von außen – gerade für Eltern – wirkt das Onlineverhalten oft viel erschreckender als es ist. Süchte entstehen vor allem, wenn mehrere psychologische Faktoren zusammen kommen und genau so verhält es sich auch bei der Sucht nach Online-Spielen. Spiele werden häufig als Fluchtweg aus der Realität genutzt und da ist die Frage zu stellen, wovor das Kind flüchtet. Fakt ist in diesen Fällen, dass das Kind an irgendeiner Stelle unzufrieden ist, aber weshalb, kann nicht pauschalisiert beantwortet werden. Das können Probleme innerhalb der Familie sein, in der Schule, innerhalb des Freundeskreises, sozialer Druck von außen, Unzufriedenheit mit sich selbst, und und und.
Um nochmal auf die Sorgen von Eltern zurück zu kommen: Kinder, oder eher Teenager, bekommen in sozialen Netzwerken häufig sexualisierte Nachrichten von Fremden. Wie fühlen sich Kinder eigentlich dabei?
Das kommt aufs Alter an und ob sie überhaupt schon verstehen, was diese Nachricht bedeutet und bezwecken soll. Jüngere Kinder empfinden bei solchen Nachrichten eher Scham und Ekel. Bei Mädchen der 8. Klasse habe ich häufiger die Erfahrung gemacht, dass sie sich über solche Nachrichten lustig machen und eventuell auch einen Spaß erlauben, indem sie darauf antworten. Da wird natürlich die Gefahr unterschätzt, die von solchen Nachrichten ausgeht.
Du bist durch deine Arbeit nah an Kindern dran: Was macht ihnen im Netz besonders Angst?
Gruselige Kettenbriefe. Darin finden sich häufig Wortlaute wie „Wenn du diese Nachricht nicht an 10 Leute weiterleitest, wird dir morgen etwas Schlimmes passieren.” und noch viel schlimmere Inhalte bis zu „dann wirst du sterben.“. Sogar 14- oder 15-jährige Kinder bekommen dadurch ein wenig Angst. Sie verstehen häufig, dass die Kettenbriefe ausgedacht sind und dass keine Gefahr von ihnen ausgeht, leiten die Nachrichten aber dennoch weiter, da sie Restzweifel haben: „…und was, wenn doch?“
“Die psychische Belastung von Mobbing sollte nicht unterschätzt werden und in manchen Fällen kann es sinnvoll sein, psychologische Unterstützung von Beratungsstellen hinzuzuziehen”
Hat Mobbing eine neue Tragweite bekommen, weil sich die Wege durch Smartphones und Whatsapp verändert haben?
Ja, es hat eine andere Tragweite bekommen. Mobbing hat es schon immer gegeben, aber die Möglichkeiten haben sich verändert. Es ist heutzutage besser möglich, anonym zu mobben, was die Hemmschwelle zum Mitmachen verringert. Auch die Reichweite ist viel größer geworden, da mit wenigen Klicks große Gruppen aufeinmal involviert werden können. Außerdem fällt es den Betroffenen schwerer das Mobbing zu ignorieren, denn bei Mobbing auf dem Pausenhof oder im Sportverein können sie sich physisch zurück ziehen. Bei Mobbing im Netz können sie ihre Geräte ausschalten, doch wenn sie diese wieder einschalten, sind die Nachrichten nicht weg und bereits von vielen anderen gesehen worden.
Wie können Eltern ihre Kinder im Fall von Mobbing am besten begleiten?
Zunächst müssen Eltern erkennen, dass ihr Kind gemobbt wird. Es kommt oft vor, dass Kinder sich nicht trauen, sich jemandem anzuvertrauen. Manchmal verstehen sie gar nicht, dass sie sich in Mobbing-Strukturen befinden, machen sich selbst Vorwürfe und suchen Fehler bei sich selbst. Wenn ein Kind gemobbt wird, verändert es häufig seine Verhaltensweise und wird beispielsweise zunehmend verschlossener. Andere Kinder werden aber auch aggressiver oder zeigen auf andere Art und Weise eher untypisches Verhalten. Welches Verhalten untypisch ist, können Eltern am besten erkennen. Anschließend sollte das Kind behutsam (!) darauf angesprochen werden und auch Gespräche mit Lehrkräften, Vereinstrainern und anderen sozialen Gruppen geführt werden. Das Kind braucht in dieser Zeit viel Zuspruch. Vorwürfe wie „Hättest du da mal besser…“ sind absolut fehl am Platz. Die psychische Belastung von Mobbing sollte nicht unterschätzt werden und in manchen Fällen kann es sinnvoll sein, psychologische Unterstützung von Beratungsstellen hinzuzuziehen.
Social Media als Selbstinszenierung: Wie differenziert können Kinder das sehen? Und was macht diese Selbstinszenierung, das vermeintliche Belohnungssystem via Likes mit Kindern?
Hier ist von Bedeutung, wie sehr sich Kinder vorher mit dem Thema beschäftigt haben. Viele verstehen nicht, dass es um Selbstinszenierung geht und saugen alle Informationen auf, die von ihren Vorbildern zur Verfügung gestellt werden. Sie fiebern mit, warten gespannt auf die nächsten Videos oder Posts von ihren Lieblingen und kaufen fleißig die Produkte, die von InfluencerInnen beworben werden. Sie wollen genauso cool und berühmt werden wie ihre Stars und hoffen bei ihren eigenen Posts auf viele Likes – teilweise baut sich unterbewusst sozialer Druck auf. Wer sich z.B. in der Schule bereits mit dem Thema beschäftigt hat, weiß, dass Soziale Netzwerke zur Selbstinszenierung dienen, was sie aber nicht davon abhält es genau so zu tun. Ich habe leider mehrfach erlebt, dass Kinder ihre Profile, z.B. bei Instagram, nicht auf „privat“ stellen möchten, um nach außen sichtbarer zu bleiben. Dass Fremde ihre Fotos sehen, ist an dieser Stelle das Ziel und dass ihre Fotos auf verschiedene Weisen missbraucht werden können, wird in Kauf genommen. Hier stehen wir vor der großen Herausforderung, ein Umdenken erzeugen zu müssen. In meinem Buch „#Kids #digital #genial“ erkläre ich beispielsweise, wie Algorithmen funktionieren und dass Fotos/Videos mit vielen Likes auf der Seite weiter oben angezeigt werden, was zu noch mehr Likes führt. Vielen Kindern ist nicht bewusst, dass hinter sämtlichen Online-Aktivitäten programmierte Algorithmen stecken, die zum Teil das Verhalten im Netz beeinflussen. Diese und ähnliche Informationen sorgen dafür, dass Kinder einen Blick hinter die Kulissen bekommen und unterschiedliche Phänomene im Netz kritischer hinterfragen.
Ich danke dir, liebe Jessica für deinen Einblick!
Hier könnt ihr Jessicas Buch bestellen: „#Kids #digital #genial“
Foto Jessica Wawrzyniak: CC-BY-SA Fabian Kurz
1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort
Danke für den Tipp Leonie. Wir werden das jetzt auch für die Schule bzw die Schüler bestellen. Mach weiter so. Beate